Wirre Gedanken vom
Montag, 16. März 2009
Ein Eishockeymärchen
In einem fernen Land und vor recht langer Zeit lebte einmal ein seltsames Wesen in einer großen Höhle, direkt unter dem Himmel. Den ganzen Tag beschäftigte sich dieses Wesen damit, was andere, weit entfernte ähnliche Wesen taten. Dann freute oder ärgerte es sich, je nachdem ob seine Vorhersagen über die anderen Wesen zutrafen und ob deren Handlungen ihm gefielen. An bestimmten Tagen hatte das Wesen Besuch von seinen Freunden, die genauso seltsam waren. Dann sahen sie den entfernten Wesen zu, diskutierten darüber, machten Vorhersagen und nahmen einen berauschenden Trank zu sich. Die Tränke wurden bei einem Ritual aus Wasser, Pflanzen und Pilzen hergestellt und trugen je nach Trank unterschiedliche Zeichen. So konnte unser Wesen seinen Lieblingstrank von anderen leicht unterscheiden und sich durch Handel einen Vorrat anlegen, der jedoch stets schneller aufgebraucht war als gedacht. Die braunen Behälter wurden hinter einer Geheimtür gelagert, die einen kleinen kühlen Hohlraum versteckte. Gezackte Scheiben aus Metall, mit dem Ritualsymbol versehen und deren Anzahl der der verzehrten Tränke entsprach, wurden dann geopfert, indem sie in einen hohlen Altar geworfen wurden. Das Gelingen des Wurfes und dessen Ausführung wurde dann zur Beurteilung der Fähigkeiten des Werfenden genutzt.

Ein weiteres Ritual dieser Wesen fand in riesigen Höhlen statt. Sobald die heiße Jahreszeit etwas an Kraft verloren hatte, bis hin zu den Tagen, an denen das Leben neu erblüht, wurde das Ritual von Hunderten und Tausenden dieser Wesen zur Abendzeit praktiziert. In der Mitte so einer Höhle befand sich ein großer gefrorener Teich, den nur einige Auserwählte betreten durften. Zwei Priester und ein Oberpriester leiteten die nun folgenden Darbietungen zweier Gruppen, deren Kleidung sich deutlich durch Farben und aufgebrachte Symbole unterschied, jedoch ansonsten sehr ähnlich war. Ein heiliger, flacher und runder Gegenstand, der durch seine schwarze Farbe einen starken Kontrast zu der hellen Teichoberfläche bot, wurde nun von den Männern mit gesegneten Stöcken bewegt oder geschlagen und wanderte flott über den Teich, stets von Männern begleitet, die der Scheibe eine bestimmte Richtung geben wollten. Die Höflichkeit gebot es nämlich, den Gegenstand der anderen Gruppe zu schenken und gleichzeitig war es Tradition, Geschenke abzulehnen. An den Enden des Teiches, den farbige Glyphen und Linien zierten und der durch eine kleine Wand rundum eingegrenzt war, befanden sich zwei mittelgroße Geschenkbehälter. Das Geschenk galt als überbracht, sobald sich der runde Gegenstand in einem der Behälter befand. Doch dies war nicht einfach. Ein Wächter mit einer speziellen Stammesrüstung bewacht die Kammer, denn es ist seine Aufgabe, das Geschenk durch Beschwörungen und schnelle Gesten abzulehnen. Dazu stehen ihm ein kunstvoll bearbeiteter Stock, ein bizarr geformter Handschuh und ein kleines Schild zur Verfügung. Die Rolle des Wächters ist für jede Gruppe sehr wichtig, daher gibt es stets einen zweiten Wächter, der die Aufgabe übernimmt, falls der andere Wächter sie aus irgendwelchen Gründen nicht zufriedenstellend erfüllen kann. Die Regeln des Rituals sind komplex und oftmals kann der Eindruck entstehen, dass manche Priester deren Inhalt selbst nicht verstehen und daher improvisieren, dies jedoch konsequent abstreiten. Gruppenmitglieder, die laut Meinung des Oberpriesters gegen die Regeln verstoßen haben, werden für einige Minuten in einen abgetrennten Meditationsbereich verbannt, um dort über ihren Verstoß nachzudenken. Bei besonders schweren Fehlern, bei denen zum Beispiel ein Teilnehmer der anderen Gruppe mit der heiligen Scheibe verwechselt wurde, kann man ganz von dem Ritual ausgeschlossen werden.

Das gesamte Ritual auf den vereisten Teichen enthält zwei besondere Phasen der Ruhe, nach denen die Behälter jeweils auf die andere Seite gestellt werden, zieht sich über zwei Stunden hin und wird von den Anwesenden durch gerufene oder gesungene Mantras begleitet. Die meisten Wesen, die die Farben einer der Gruppen tragen, haben sich durch ein Gelübde an diese gebunden. Oftmals pilgern sie auch zu anderen Höhlen, um ihre Gruppe zu unterstützen und konsumieren dabei große Mengen an Tränken.

Wenn das große Ritual zu Ende geht, bedankt sich die höflichere Gruppe, die die meisten Geschenke gemacht hat, bei denjenigen Anwesenden, die die gleichen Farben tragen und so die Götter gnädig gestimmt haben. Durch Knien, Rufen und das Nach-Oben-Recken der Arme wird gegenseitiger Respekt bezeugt. Entfällt dieser Abschluss, sorgt dies für Unwillen bei den Anhängern, für dessen Ausdruck schrille Pfeifgeräusche vorgesehen sind. Oft wird einer der Ritualisten aus der Gruppe, der seine Aufgabe besonders beeindruckend erledigt hat, noch gebeten, das Respektritual nochmals alleine mit den Anhängern zu vollziehen. Dies ist eine große Ehre für den Ritualisten. Ein spezielles Gebet, bei dem sich der Wächter der Gruppe mit einer Rollbewegung selbst in den Behälter begibt, kann ab und zu beobachtet werden. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Vorgang, bei dem sich der Wächter mit Haut und Haar seiner Aufgabe weiht und sich quasi selbst verschenkt.

Während dieser heiligen Zeit ziehen die Gruppen und viele Priester und Oberpriester von einer Ritualhöhle zur anderen, um dort ebenfalls das Geschenkritual zu vollziehen. Dabei werden alle derartigen Höhlen besucht, die der Gruppe erlaubt sind, meistens sogar jede zwei Mal. Gehen diese Monate zu Ende, wird durch viele Rituale in kurzer Zeit die höflichste Gruppe des Jahres ermittelt. Dann kommt es häufig vor, dass diese Gruppe ihre Region verlässt, und dank der errungenen Erlaubnis in noch größeren Höhlen auf andere Gruppen trifft. Manchmal wird auch die unhöflichste Gruppe verbannt und muss ihr Können mindestens ein Jahr in kleineren Höhlen darbieten.

Eine Verbindung vieler und besonders bekannter Gruppen, die Kontakt oder gemeinsame Rituale mit den restlichen, in ihren Augen minderwertigen Gruppen ablehnt, brach mit dieser Tradition des Gruppenaustausches. Die Verbindung nahm für sich in Anspruch, aus den besten Gruppen zu bestehen und begann, das überlieferte Ritualsystem eigennützig zu verändern. Daher betrachteten viele Wesen die Abweichler als unrein und selbstsüchtig, denn den traditionellen, kleinen Gruppen wurde der Traum verwehrt, irgendwann einmal Rituale mit einer der legendären Gruppen zu erleben. Die Hohepriester aller Wesen, die Hüter des Glaubens, waren mit der Macht ausgestattet, die abtrünnige Verbindung zu verfluchen und zu Ketzern zu erklären. Damit wären ausgeführte Rituale der Ketzergruppe ungültig und deren Teilnehmer durften anderen Gruppen nicht beitreten. Doch die Hohepriester handelten nicht, da die großen Opfergaben der Abweichler die wichtigste Einnahmequelle der Hohepriester waren, auf die nicht verzichtet werden sollte.

Doch all dies schien in weiter Ferne, als sich unser seltsames Wesen in seiner Höhle wieder bereit machte, die Eisrituale berühmter Gruppen zu studieren. So manche Nacht wurde den Studien geopfert, viele berauschende Tränke taten ihre Wirkung und gleichviel gezackte Metallscheiben wurden den Hunderten im Hohlaltar hinzugefügt. Der Tradition folgend wurde der Schlaf lange heraus gezögert, bis er das Wesen schließlich doch übermannte. Und wenn es die heiligen runden Artefakte, die Höhlen und die Tränke heute noch gibt, dann gibt es auch noch immer seltsame Wesen.

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